ÜBER DIE BEWIRTSCHAFTUNG FLIESSENDER GEWÄSSER – anno 1914

Von meinen Freund Harald, habe ich zum Geburtstag einen „Altpapierfund“ geschenkt bekommen. Er weiß, dass ich mich für die fischereiliche Geschichte interessiere und da sind die Ausgaben der „Allgemeinen Fischerei-Zeitung“ aus Deutschland und für Österreich-Ungarn aus dem Jahr 1914 ein Leckerbissen. Jetzt im Urlaub, hatte ich Zeit, mir die Zeitung durchzulesen und nachfolgend möchte ich einen Artikel wiedergeben, der in den Ausgaben Nr. 2, Nr. 5, Nr. 7 und Nr. 9 erschienen ist und der sich mit dem Thema „Über die Bewirtschaftung von fließenden Gewässern“ beschäftigt. Autor war vor über 100 Jahren, im Jahr 1914, Hr. Dr. N. Maier, königlicher Landesinspektor für Fischzucht aus München.

Allgemeine Fischer Zeitung Nr. 2 aus dem Jahr 1914, Seite 29 bis 32

Der Anregung mehrere Leser dieser Zeitung entsprechend, soll hiermit eine Reihe von Artikeln begonnen werden, in welchen die wichtigsten Gesichtspunkte über die Bewirtschaftung fließender Gewässer besprochen werden. Eine streng durchgearbeitete Wirtschaftslehr, wie wir diese bei der Teichwirtschaft und künstlichen Fischzucht kennen, gibt es für die freien Gewässer leider nicht. Die folgenden Zeilen können daher nicht etwa eine für alle Gewässer erschöpfende Belehrung geben, sondern sollen dem Besitzer fließender Gewässer nur zeigen, welche Erfahrungen der Praktiker und welche Ergebnisse der Wissenschaft uns im allgemeinen als Grundlage für die Bewirtschaftung fließender Gewässer vom kleinen Quellbächlein bis zum mächtigen Strome ist ja eine so außerordentliche große, das ist schon aus diesem Grunde eine erschöpfende Behandlung ausschließlich, umso mehr, als gewisserma0en jedes einzelne Gewässer dank seiner besonderen Eigenschaften ein Wirtschaftsobjekt für sich ist.

Wir müssen uns daher darauf beschränken, einzelne typische Gewässerarten, wie z.B. den Forellenbach, Krebsbach, Berggewässer, sowie die Bedeutung einzelner wichtiger Fischarten, wie Hecht, Zander, Schleie usw., genauer zu betrachten und im Übrigen einige allgemeine, für alle Gewässer gültigen Fragen näher zu untersuchen.

Wenn wir von Bewirtschaftung fließender Gewässer sprechen, so soll damit schon angedeutet sein, dass man auch bei diesen Gewässern wirtschaftliche Maßnahmen treffen kann und soll, die eine Vermehrung des Ertrages der Fischerei ermöglichen. Denn heute darf sich der denkende Fischer nicht mehr lediglich mit dem Fange der Fische beschäftigen, sondern er muss bedacht sein, sich die geeigneten Maßnahmen eine erhöhte und vor allem ständige Einnahmequelle aus seinem Fischrechte zu schaffen. Das ist gerade in den letzten Jahrzehnten, wo einerseits durch die dichtere Besiedelung eine Zersplitterung der Fischreche in seinen Strecken und anderseits durch Industrie und Landeskultur eine mehr oder weniger weitgehende Schädigung des Fischbestandes eingetreten ist, immer mehr zur Notwendigkeit geworden. Es sind zwar seitens der Landesregierung vielfach sehr weitgehende Schutzbestimmungen, selbst auch für die Hebung des Fischbestandes Sorge zu tragen.

Es ist interessant, nachzulesen, was sich in der fischereilichen Bewirtschaftung von Fließgewässern, in den letzten hundert Jahren getan hat.

Grundlagen der Bewirtschaftung

Zunächst muss der Fischer sich einige grundlegende Fragen der Bewirtschaftung vorlegen, die wir kurz berühren und später ausführlich behandeln werden. Er muss sich vor allem eine möglichst eingehende Kenntnis der besonderen Eigenschaften seines Fischwasser, sowie der Lebensweise der wichtigsten für sein Gewässer in Betracht kommenden Fischarten verschaffen. Sodann wird er prüfen, ob alle Lebensbedingungen für die betreffenden Fische in genügender Weise vorhanden sind; d.h. ob hinreichend Laichplätze, Nahrungsplätze und Ruheplätze usw. sich in seinen Fischwasser finden. Nötigenfalls sind diese Lebensbedingungen neu zu schaffen oder zu verbessern, sowie sich das auf Grund unserer späteren Ausführungen ermöglichen lässt; beim Fehlen geeigneter Laichplätze und Jungbrutplätze muss allenfalls zur künstlichen Besetzung gegriffen werden, wobei möglichst bis dahin zu streben sein wird, das benötigte Besatzmaterial im eigenen Betrieb heranzuziehen; auch hierüber werden wir später eingehend zu sprechen haben. Je mehr der Fischer auch Züchter wird, desto mehr wird er Interesse und Verständnis für die Fischereiwirtschaft bekommen.

Das Bruthaus in der Miesenbach Mühle ist auch über 100 Jahre alt und wir nutzen es auch heute wieder für die Aufzucht unserer heimischen Fischpopulationen.
Harald Eidinger im Bruthaus in der Miesenbach Mühle beim Aussortieren der „blinden“ Äschen Eier. Dabei handelt es sich jedoch um ein Foto aus dem Jahre 2021. 🙂
Auch vor über 100 Jahren, gab es ein großes Angebot an Setzligen und Fischen aus Fischzuchtanstalten. Auch Regenbogenforellen und Bachsaiblinge wurden anno 1914 schon im großen Stil angeboten und vermarktet. Interessant auch der Hinweis: „von großen Wildfischen stammend“! Auch das eine Erkenntnis die nicht erst im 21. Jhd. entstanden ist. 🙂

Nahrungsaufkommen im Gewässer

Eine weitere Grundfrage ist die, ob alle in dem Gewässer vorhandene Nahrung vollständig durch die vorhandenen Fische ausgenützt wird; d.h. ob genügend Mengen von Fischen und gleichzeitig geeignete Fischarten in dem Gewässer sind, welche die Bodennahrung, Luftnahrung und Freiwassernahrung (z.B. in Altwassern) möglichst gründlich verwerten. Wenn nicht, so muss der Fischbestand vermehrt werden, es müssen allenfalls neue Fischarten eingeführt werden. Welche besonderen Gesichtspunkte bei der Auswahl des Besatzmaterials hinsichtlich der Nahrungsverwertung, des Marktwertes, der Vermehrungsfähigkeit usw. zu beachten sind, sollten später dargelegt werden. Ebenso werden wir später auch mit der Frage des Fischereischutzes, des Fischfanges und der Bedeutung der Fischereiorganisationen für die Bewirtschaftung der Fließenden Gewässer beschäftigen.

Ertragsfischerei vs. Sportfischerei

Zur Klarstellung: Vor über hundert Jahren, war im Sprachgebrauch die Bezeichnung „Sportfischer“ oder auch „Kunstangler“ geläufig. Das Image und Bedeutung der Fischerei hat sich gewandelt und gerade auch aus diesen Grund ist es der Fischerei ein Anliegen, denn Begriff „Sportfischer“ nicht zu verwenden. Denn ein Fisch ist kein Sportgerät und Fischen auch kein Sport! Daher wurde im modernen Sprachgebrauch auch der Begriff auf „Angelfischerei“ geändert. In der Widergabe dieses über hundert Jahre alten Buches, bleibe ich jedoch bei der verwendeten Bezeichnung.

Hinsichtlich der Art der Ausnützung fließender Gewässer müssen wir unterscheiden zwischen Ertragsfischerei und Sportfischerei. Unter Ertragsfischerei verstehen wir diejenige Art der Bewirtschaftung, bei der welcher auf einen möglichst hohen Ertrag an Fischfleisch hingearbeitet wird, während das Ziel der Sportfischerei weniger im Erreichen eines hohen Fischfleischertrages als vielmehr in der Befriedigung der Sportsliebhaberei liegt. Den Sportfischer (oder auch Kunstangler genannt) reizt es hauptsächlich möglichst große Fische zu fangen, die schwer zu überlisten sind und an der Angel kämpfen, er legt als in erster Linie Wert auf ältere Fische und zwar auf Raubfische, die ja bekanntlich meist am Großwüchsigsten sind. Allerdings wird der reine Sportfischer dabei sein Vergnügen auf Kosten des Ertrags der Fischerei sich verschaffen, denn ein überwiegender Raubfischbetrieb ist aus später näher zu erläuternden Gründen wenig ertragreich. Vor allem ist es aber vom Standpunkt der Ertragsfischerei aus nicht zu empfehlen, die Fische erst im späteren Alter zu fangen, da hierbei der Gesamtertrag an Fischfleisch bedeutend geringer ist, als wenn die Fische in den ersten Lebensjahren gefangen werden. Und zwar ausfolgenden Gründen.